Lack ist weit mehr als Rostschutz und Optik

Lack, Hochvolt und Assistenzsysteme

Lack ist weit mehr als Rostschutz und Optik

16. Mai 2024 agvs-upsa.ch – Nicht nur Garagistinnen und Garagisten müssen einiges beachten, wenn sie mit elektrifizierten Fahrzeugen arbeiten, sondern auch Carrossiers. Was möglich ist und worauf es bezüglich Hochvolt und Fahrassistenzsysteme zu achten gilt, verraten zwei Experten von Lacklieferant und -produzent PPG. Jürg A. Stettler


Fahrassistenzsysteme und deren Sensoren beeinflussen auch den Lackierprozess und heute zudem teilweise auch die Lackwahl. Foto: Shutterstock


Nicht nur die Antriebsarten sind einem raschen Wandel unterworfen, auch beim Lack geht es rasant voran. Längst ist dieser mehr als ein blosser Korrosionsschutz. Damit steigen die Herausforderungen bei Reparaturen, was gleichzeitig professionellen Betrieben wiederum Chancen liefert, sich durch Kompetenz vom Rest des Marktumfelds abzuheben.Heutige Autos sind vollgepackt mit Assistenzsystemen, die nicht nur mit der eigenen Bordelektronik, sondern auch mit anderen Fahrzeugen und der Umgebung kommunizieren. «Es werden laufend Signale ausgestrahlt und eingefangen», erklärt Sven Neumann, Produktmanager DACH von PPG Deutschland. «Die Funktionsweise all dieser Assistenten vom adaptiven Tempomat, über den Spurwechselwarner bis zum Parkassistent kann, aber darf eben nicht vom Lack beeinflusst werden!» Der PPG-Experte, dessen Lacke in der Schweiz von der Belfa AG in Glattbrugg ZH beziehungsweise von der Konzerntochter PPG Switzerland GmbH in Volketswil ZH (zuständig für den Vertrieb von Nexa Autocolor sowie Max Meyer) importiert werden, macht klar: «Lacke sind heute auch sicherheitsrelevant!»

Fehlinterpretationen durch Alu-Flakes verhindern
Ein gutes Beispiel seien auch Arbeiten an Radarsensoren. «Hier ist es ganz entscheidend, dass man die Herstellervorgaben beachtet, ob betreffend Schichtstärken oder auch, wo man spachteln darf und wo nicht», so Neumann. Denn die elektromagnetischen Wellen müssen durchs Bauteil und die komplette Beschichtung, träfen dann irgendwo auf ein anderes Fahrzeug oder Hindernis und müssten dann wieder durch den kompletten Lackaufbau zurück zum Sensor. Nur schon ein Trans- missionsverlust des Radarsignals in der Basislackschicht kann hier massive Auswirkungen haben: Weil nicht mehr die volle Stärke des Signals den Sensor erreicht und weil dieser auf Basis des Signals handelt, kommt es zu Fehlinterpretationen.

«Ein Grund für Transmissionsverluste sind simple Alu-Flakes, die für Metallic-Lackierungen verwendet werden – und aktuell sind fast ein Drittel der neuzugelassenen Autos im Silber/Graumetallic-Bereich unterwegs. Darum haben wir bei PPG extra radarfähige Farbtöne entwickelt», ergänzt er. In deren Formel wurden die Alu-Pigmente klar reduziert und teils sogar durch Perl-Pigmente ersetzt, so dass auch nach einer Reparatur ein störungsfreies Radar-Signal gewährleistet ist. Inzwischen gibt es im PPG-Sortiment über 230 so rezeptierte Farbtöne – Tendenz steigend. Neben der Beschaffenheit des Basislackes kann auch die Klarlackschicht Einfluss auf die Funktionsweise von Sensoren haben. Verfügt diese über hydrophobe Eigenschaften – hat also wörtlich nicht etwa Angst vor Spinnen, sondern vor Wasser – wird die Ansammlung von Wasser und somit auch Schmutz verhindert. «Das alles hilft, damit Signale sauber ankommen – darauf achten wir bei PPG und hoffentlich auch die Experten draussen in den Carrosserie-Betreiben.»


Vor allem bei Metallic-Lacken können zu viele Alu-Fakes in einer Basislackschicht das Signal stören. Foto: PPG

Verdoppelung der Neufarbtöne
Sein Kollege Thomas Leuchten, Business Development CAR EMEA Automotive Refinish bei PPG Deutschland, ergänzt: «Lack ist heute nicht nur im Aussenbereich sicherheitsrelevant, er spielt vor allem bei E-Fahrzeugen bei Batteriekomponenten eine immer wichtigere Rolle.» Der PPG-Experte spricht da von Brandschutzlacken, welche die Wärmeentwicklung innerhalb einer Antriebbatterie zu reduzieren helfen oder im schlimmsten Fall eines Brandes durch Ausdehnung vielleicht das Übergreifen auf andere Zellen verhindern oder zumindest verzögern können. Bis diese Beschichtungskonzepte beim Carrossier landen, dauert es vielleicht noch eine Weile. Aber E-Autos und Hybride gehören längst zum Carrosserie-Alltag. Und hier sorgen die vielen neuen Marken – allein ins China gibt’s 600 Autohersteller – für sehr viel Arbeit bei PPG. «Wir wollen nicht nur ans Produktionsband Lack liefern, sondern für den Aftermarket ebenfalls wissen, wie und welche Lack-Technologie verbaut wird.» Schliesslich habe dies alles Auswirkungen auf die Rezepturen und die Reparaturarbeiten für die Werkstätten. «Für uns im Farbtonlabor sind die neuen chinesischen Modelle gleichbedeutend mit einer Verdoppelung der Neufarbtöne», rechnet Leuchten vor.

E-Autos mögen keine Hitze
Die Herausforderungen bei Arbeiten mit E-Fahrzeugen gingen zudem über sicheres Arbeiten mit Hochvolt hinaus. Es fange mit so simplen Sachen wie der Logistik an, erläutert er. «E-Fahrzeuge – aus Sicherheitsgründen stromlosgeschaltet – fahren nicht mehr. Sie müssen in die Kabine geschoben werden. Ein VW Golf VII wiegt etwa 1200 Kilo, ein VW ID.4 bringt dann schon über 2,1 Tonnen auf die Waage!» Ein wichtiges Thema für alle E-Fahrzeuge sei zudem Wärme. Diese entsteht beim Trocknungsprozess oder auch schon beim Einsatz des Infrarotstrahlers. «Um Schäden an der Antriebsbatterie zu vermeiden, dürfen gemäss Hersteller 60 Grad Celsius in der Kabine nicht überschritten werden – die konsequente Beachtung der Herstellervorgaben bei der Reparatur ist daher essenziell», gibt Leuchten zu bedenken. 

Der PPG-Experte empfiehlt daher, mit niedrigtrocknenden Lacken zu arbeiten oder ganz auf Lufttrocknung überzugehen. Ausserdem gewinnt bei den Arbeiten an E-Fahrzeugen das Thema Schulungen an Bedeutung. Wie sie in der Schweiz auch das neue PPG-Carrosserie-Netzwerk Certified First Switzerland anbietet, damit die Carrossiers hierzulande bestens gerüstet sind für anspruchsvollere und komplexere E-Auto-Reparaturen. Schliesslich verursachen gemäss der Axa-Versicherung Lenkerinnen und Lenker von Elektroautos 50 Prozent mehr Kollisionen mit Schäden am eigenen Fahrzeug als jene von herkömmlichen Verbrennern – somit landen davon auch mehr in den Carrosserie-Betrieben.
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